Der Elchengel - 19. Türchen
Noch drei Briefumschläge waren übrig.
Lilly griff nach dem "Mut".
Die Dämmerung setzte gerade ein, und so konnten sie und der Elch starten.
Es war ein wunderschöner Abend. Die ersten Sterne waren zu sehen, und es fing auch an zu schneien.
Nach einer Weile sahen sie unter sich eine Frau durch den Schnee laufen.
Sie wirkte erschöpft und hatte ein blaues Auge.
Oh nein, dachte Linny. Wie furchtbar.
Die Frau steuerte auf ein Polizeirevier zu.
Dann klingelte ihr Handy. Sie blieb stehen und wühlte in ihrer großen Tasche herum. Ganz schnell hatte sie von zu Hause nur die wichtigsten Dinge mitgenommen.
"Ja"?, sprach sie in das Handy.
"Wo bist du"?, rief laut eine Männerstimme.
"Ich verlasse dich", sagte die Frau.
"Du bist wohl verrückt geworden. Sofort bewegst du deinen Hintern hierher, aber auf der Stelle", schrie die Männerstimme aus dem Handy.
Die Frau zögerte, man sah förmlich, wie sich ihre Schultern senkten und eine Sorgesfalte auf der Stirn erschien.
Sie hat Angst, dachte Linny. Es war Zeit für die Botschaft.
Der Brief fiel ein paar Meter vor der Frau auf den Boden. Aus dem Handy konnte Linny noch immer den Mann schreien hören.
Als die Frau den Brief gelesen hatte, sagte sie sehr ruhig: "Hör zu, Henry, ich bin schon vor dem Polizeirevier. Ich werde dich anzeigen. Und ich werde von nun an alleine leben - ohne dich".
Die Stimme im Telefon änderte den Tonfall. "Aber Klara, das kannst du doch nicht tun. Ich liebe dich doch ..."
"Nein. Das tust du nicht. Leb wohl". Und damit beendete sie das Gespräch, warf das Handy in den nächsten Busch und ging beherzt auf das Polizeigebäude zu.
Bevor sie die Tür öffnete, bemerkte sie noch, dass die Sterne heute besonders schön leuchteten. Einer hatte sogar einen rötlichen und ein anderer einen blauen Schimmer, aber es war ja auch in wenigen Tagen Weihnachten und ihre Tat kam einem Wunder gleich. So lange hatte sie das schon vorgehabt.
Sie wusste, dass sie sich heute ihr eigenes Leben zurückholte.
